Jost Wischnewski
Gegen Entwurf
08.05. - 13.07.21
Galerie KW/Randlage
Art/Space

Installationsansicht. 

Über die Arbeit GEGEN ENTWURF von Jost Wischnewski

Von Volker Schwennen


„Gegen Entwurf“, so der Titel der Ausstellung von Jost Wischnewski im Art/Space der Galerie KW/Randlage, ist ein fein austariertes Wortspiel. Einerseits beschreibt es einen tatsächlich möglichen Gegenentwurf, hier zunächst als konkurrierendes System von Stadt und Land zu denken. Andererseits verweist die Trennung beider Worte, zum einen der Präposition „gegen“, welche ein räumliches oder zeitliches Verhältnis anzeigt und erst in Beziehung mit anderen Wörtern gesetzt werden muss, und zum anderen dem Substantiv „Entwurf“ – also eines klaren Begriffs – eher auf die persönliche Ambivalenz als auf klar umrissene Gegensätze.

Ein „Entwurf“ kann als Projekt angesehen werden, welches bei seiner Umsetzung wahrscheinlich Änderungen mit sich bringen wird, während „Gegen“ eher emotional wahrgenommen wird, gegen etwas zu sein; in diesem Falle sogar gegen einen Entwurf. Ein solcher ist zum einen ein Vorschlag, kann aber auch ein Plan, ein Konzept sein oder auch als eine erste rudimentäre oder ausführliche Skizze für etwas Anderes oder Gleiches oder als Verbindung des Bestehenden – mit dem, was sich ändern könnte oder sollte – angesehen werden.

Wischnewski spielt oberflächlich mit den unausgewogenen Gegenpaaren Stadt und Land, Urbanität und Provinz, Fortschritt und Behäbigkeit, Progressivität und Tradition. Urbanität steht für die weltgewandte, offene Großstadt, für mondänes Leben, für Modernität, Innovation als auch ein Überangebot an Möglichkeiten für Weiterentwicklung und Zerstreuung. So sehen wir auf dem ersten Bild eine Gruppe von Menschen als schwarze unscharfe Silhouette zunächst in einem unklaren Raum, auf einer Straße womöglich oder doch eher in einem Einkaufszentrum oder Club. Wir schauen durch ein Gitter vor einem Fenster, also wohl eher in einen Raum hinein, bleiben jedoch außen vor, sind nur Beobachtende und nicht Teil des Geschehens. Eine ähnliche Perspektive nehmen zwei weitere Bilder ein, welche uns von innen nach außen sehen lassen. Zum einen wieder durch ein von Gitterstäben zerschnittenes Fenster über eine Wasserfläche hinweg auf eine pompöse großbürgerlich anmutende Palastfassade, zum anderen aus einem fahrenden Fahrzeug hinaus auf eine graue Autostraße, auf eine Brücke, die einen Fluss überspannt. Auf dem vierten Bild stehen wir wiederum vor einem Geländer und blicken von oben hinunter auf verschwommene Flächen, welche nur schwer als Autodächer wartender Busse erahnt werden können.

Bei diesem nur aus vier Bildern bestehenden, streng gehängten Block sind wir lediglich Beobachtende. Wir können uns fragen, wo die Aufnahmen gemacht wurden, die Antwort aber reicht nicht aus. Zwar ist Venedig ein Sehnsuchtsort Vieler, lassen wir uns jedoch auf die Abbildungen ein, schwingt schnell ein leicht beklemmendes Gefühl mit. Warum nehmen wir nicht teil am urbanen Leben, wieso sehen wir nur einen kleinen Ausschnitt diverser Möglichkeiten? Womöglich sind wir ausgesperrt oder bereits auf der Reise woanders hin. Werden wir uns im nächsten Moment aus der Rolle des Beobachtenden befreien und hineinstürzen in die Verlockungen des urbanen Lebens? Oder werden wir uns abwenden, uns zurückziehen, Abschied nehmen? Haben wir nur eine Sehnsucht oder bereits einen Plan? Wischnewski konfrontiert uns auf der gegenüberliegenden Seite mit einem ebenfalls vierteiligen Bildblock. Zunächst sehen wir auf der links oben gezeigten Fotografie einen schwarzen Schatten und einen Lichtwurf eines Fensterladens, im Bild daneben gebrauchte Arbeitshandschuhe, deren Innenflächen nach oben zeigen gleich menschlicher Hände, die mitteilen möchten: Seht her, seht die Furchen, die Zeugnisse harter Arbeit. In der zweiten Reihe sehen wir eine Fotografie, welche zu Zweidrittel den Ausschnitt einer Steinwand mit der eingeritzten Zahl 1888 zeigt, und im rechten Drittel einen Stapel von gespaltenem Feuerholz. Die vierte Fotografie zeigt einen dunklen Raum, wir sehen ein lädiertes Textil, in welches ein von oben herabfallender Mähfaden für eine Motorsense ins Licht ragt, ein Holzstiel von einer Schaufel, eine Kette, die von oben herabhängt und am Ende einen Karabiner trägt sowie einen ledernen Lappen. Alles verweist auf ein eher karges, auf das Wesentliche beschränkte Landleben hin, auf harte und mühsame Arbeit. Keine romantisierende Vorstellung provinziellen Landlebens mag sich einstellen.

Ein Gegenentwurf also – aber zu was? Schauen wir von hier aus wieder auf die andere Seite, stört unseren Blick ein diagonal in die Raummitte gesetztes Baugerüst aus zwei Seitenteilen mit Stützen und zwei Ebenen. Die erste in Höhe eines Tresens, auf dem man gar sein imaginäres Glas abstellen oder sich aufstützen möchte, um darüber nachzudenken, was diese Bilder mit einem machen, wo man mit Freunden oder Fremden ins Gespräch kommen könnte. Ein Gerüst nur, eine zweckgebundene Haltevorrichtung oder freie Arbeitsplattform. Die obere Ebene bildet eine Art Dach mit einer geöffneten Luke als möglichen Durchstieg in unendlich weitere Ebenen. Und dieses Gerüst spiegelt sich ganz bewusst in den Glasscheiben der gerahmten Fotografien. Ein Gerüst womöglich als Zeichen für den Plan, den Entwurf für unser oder ein anderes Leben. Zwei an der Konstruktion angebrachte Monitore zeigen Videoarbeiten. Eine grüngefärbte Aufnahme einer Wildkamera von einer durch das Bild laufenden Wildschweinrotte, dazu der Ton von zirpenden Zikaden; auf dem anderen Bildschirm eine Aufnahme von Bewegungen und Farbspielen, von verlaufenden Wasserflächen, die sich nach und nach als Blick durch die Frontscheibe eines Autos in einer konventionellen Waschanlage entlarvt. Auch hier eine Art Gegendarstellung von nächtlicher einsamer ländlicher Naturlandschaft mit Tieren, welche gefährlich und bedrohlich für den Menschen werden können, und technischem Fortschritt in Form einer typischen Waschanlage für Automobile als Geste bürgerlicher Reinlich- und Spießigkeit. Seitlich am Gestell ist ein kleiner Spiegel angebracht, in dem wir uns schließlich selbst gegenüberstehen, eben unser Spiegelbild betrachten können. Während die unaufgeregte sinnliche Poesie die Fotografien bestimmt, ist die Rauminstallation auch als Ausdruck überbordender Männlichkeit zu lesen. Dem Archaischen, der Natur, den wilden Tieren, der Autowaschanlage fügt Wischnewski geradezu beiläufig ein fast unsichtbares weiblich konnotiertes Element in Form zweier fast identischer Vasen hinzu, die eine blau, die andere weiß, alles niedlich positiv/negativ gepunktet, beide ganz am Rande auf der Fensterbank des Art/Spaces positioniert. Die beiden Ziergefäße sind zusätzlich dekoriert, die weiße erhielt einen blauen, die blaue entsprechend einen weißen Mundschutz, gleichsam als vorauseilende Reminiszenz an die noch immer nicht überwundene unwirkliche Zeit der Corona-Pandemie. Die Vasen als einander gegensätzliches, dennoch in Bezug zueinander bezogenes Element, als Symbol der Weiblichkeit, der Spiegelung des Mutter-Archetypus und des Eros, der Fruchtbarkeit, Schönheit und Lebendigkeit. Am Rande also eine aufgeladene Überhöhung eines Zustandes als weiterer, leiser Gegenentwurf.

Jost Wischnewski lässt uns mit seiner, im Art/Space der Galerie KW/Randlage fein gesetzten Installation mit Fragen zurück, welche sehr persönlich sind. Wo befinde ich mich, wo will ich hin oder was will ich überhaupt. Wogegen bin ich eigentlich? Was ist mein Plan? Welche Veränderungen werden noch kommen? Was muss ich ändern, um anders oder besser zu leben? Zu einem großen Teil beschäftigt sich Jost Wischnewski in seinen Werken immer wieder mit diesen und ähnlichen Fragen, mit den unterschiedlichen Geschwindigkeiten unseres Lebens, mit Zeichensystemen, mit Überlagerungen von Raum und Zeit, von Tradition, Heimat und Modernität und Fortschritt. Vielfältig geht es ihm auch um unseren persönlichen Alltag und von diesem hervorgebrachten Abhängigkeiten – den uns aufgedrängten und den selbstgemachten.

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