HIMMEL ÜBER WORPSWEDE
PARABELFLUG
FELIX DREESEN


Ein Parabelflug ist ein besonderes Flugmanöver, dessen Zweck das Erreichen von Schwerelosigkeit beschreibt, also einen Zustand, in der die Gewichtskraft auf den Körper nicht spürbar ist. Um einen solchen Zustand zu erreichen, darf es also keine Behinderung durch Gegenkräfte finden. Auf der Erde ist Schwerelosigkeit nur dann möglich, wenn die Gravitations- bzw. Anziehungskraft räumlich konstant ist, was jedoch lediglich durch eine Simulation erreicht werden kann. Felix Dreesen begibt sich also mit einem Segelflugzeug auf die Reise nach Worpswede, erlebt die Kräfte, die mal erhöht, mal verringert werden und interessiert sich für das Verschieben der Horizontlinie und die körperliche Erfahrung im „Luftraum Worpswede“. Vor allem aber möchte er bei einem Parabelflugmanöver genau diesen Zustand der Schwerelosigkeit erreichen. Das Schweben und das Erreichen eines kurzanhaltenden Zustands der Schwerelosigkeit als künstlerische Position zu beschreiben, verleitet zu einer metaphorischen Überhöhung. Womöglich aber täuscht oder provoziert uns der Künstler mit diesem Akt. Vielleicht mag es nur ein Schauspiel sein, welches unseren Blick zum Himmel lenken soll.

Gerade in Worpswede erwarten viele Menschen einzigartige Himmelserscheinungen eines breiten, weiten Wolkenspiels oder das oft sehr farbenfrohe Spektakel, welches gar als „Himmelsoper“ beschrieben wird. „Der Worpsweder Himmel ist in der Tat ganz besonders. Wie jedes ordentliche Worpsweder Kind habe ich die Malschule besucht. Da mussten wir auch den Himmel malen, was ich immer als besonders nervig empfand“3, erzählte der in Worpswede aufgewachsene Schriftsteller Moritz Rinke. Und der Dichter Rainer Maria Rilke schwärmt wie all die anderen Worpsweder Maler der ersten Künstlergeneration vom Himmel: „Es ist ein seltsames Land … Wenn man auf dem kleinen Sandberg von Worpswede steht, kann man es ringsum ausgebreitet sehen, ähnlich jenen Bauerntüchern, die auf dunklem Grund Ecken tiefleuchtender Blumen zeigen. Flach liegt es da, fast ohne Falten. Und die Wege und Wasserläufe führen weit in den Horizont hinein. Dort beginnt ein Himmel von unbeschreiblicher Veränderlichkeit und Größe.“ 4 Keine touristische Broschüre, welche nicht von diesem Himmel spricht. Aber ist dieser wirklich so einzigartig? Gibt es solche Himmelsopern nicht fast überall auf der Welt? Ist der Himmel über Worpswede nur einem Marketing zu verdanken, welches den Verweis auf die erste Generation von Landschaftsmalern und deren Verbindung von Natur und Mensch, deren Form des Ausdrucks eigener Befreiung von damals geltenden bürgerlichen Konventionen spiegelt?

Felix Dreesen „bereist“ nicht nur den Worpsweder Himmel, sucht nicht nur die Schwerelosigkeit, sondern verweist mit einem Objekt im Schaufenster des haus6 ganz gezielt auf diesen – mittels eines so platzierten Spiegels, dessen Bild den außenstehenden Betrachtenden nur die Wolken sehen lässt. Indem er dem Himmel den Spiegel vorhält, hält er ihn auch uns vor. Machen wir uns womöglich etwas vor? „Die Kunst hat den Menschen kennengelernt, bevor sie sich mit der Landschaft beschäftigte“5, schrieb Rilke.

Quasi im Auftrag des Künstlers Dreesen sollten Bhima Griem und Volker Schwennen einen Text (oder ein Zitat) aussuchen, um dessen Arbeit zu ergänzen, der dann im Siebdruckverfahren auf einen transparenten Vorhang aufgebracht werden sollte. Die beiden entschieden sich für die Songzeile des eher unbekannten amerikanischen Countrysängers Paul Brandt: „Don‘t tell me, the sky is the limit / when there are footprints on the moon.“ 6 Dieses Zitat findet sich geradezu inflationär auf Holzbrettern, Tassen und mehrfach auf Postkarten oder gerahmten Posterwerken – so wird der Vorhang auch eine ironisch-kritische Anspielung auf die zahlreichen, oftmals sehr kitschigen Souvenirs, die auf bizarre Weise auf den „Künstlerort“ Worpswede bezogen sind. „Kitsch ist das Echo der Kunst“, schrieb einst Kurt Tucholsky7 und der Kultur- und Zeitkritiker Sigismund von Radecki brachte es noch besser auf den Punkt: „Kitsch ist Kunst, gescheitert am fehlenden Widerstand.“8

Himmel über Worpswede
Parabelflug
Felix Dreesen
30.05. - 30.06.21
KW/R Art/Spaces haus6


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